In der letzten Woche erzählten mir Eltern, deren Kind eine Zahnsanierung in Narkose bekommen sollte, dass sie den seit drei Wochen geplanten Termin beinahe abgesagt hätten, weil sie sehr in Sorge um ihr Kind waren, nachdem sie wenige Tage vorher bei einem Besuch in der Kieferklinik wegen akuter Schmerzen an einem Zahn von einer Mitarbeiterin gehört hatten: „Nur keine Narkose bei einem Kind, da sterben doch Gehirnzellen ab.“
In der Kieferklinik wurde der schmerzende Milchzahn mit einer Füllung versehen. Das Kind wurde dazu festgehalten. Die Eltern hatten in der Kieferklinik erzählt, dass ein Termin zur Zahnsanierung in Narkose bevorstand – und dann ungefragt diesen „Ratschlag“ von einer Mitarbeiterin im medizinischen Dienst gehört.
Nachdem sie im Vorfeld ausführlich mit der Kinderzahnärztin über Vor- und Nachteile einer Zahnsanierung in Narkose gesprochen und sich für dieses Vorgehen entschieden hatten, kamen sie nun in Gewissensnot. Letztlich vertrauten sie der Kinderzahnärztin mehr – und kamen zur Behandlung.
Die Frage, ob eine Narkose dem Gehirn des Kindes schadet, habe ich bereits in einem früheren Beitrag beantwortet und belegt: „Nein, es ist kein sicherer Zusammenhang zwischen Narkosen bei kleinen Kindern und Störungen der Gehirnentwicklung bekannt.“
Anmerkung: Ich schreibe diesen Beitrag im Bewusstsein, dass natürlich (z. B. für manche Leser) auch meine Aussagen über (mutmaßliche) Mythen ein Mythos sein könnten. Auch wenn ich mich bei allen Inhalten dieser Homepage um eine wissenschaftlich fundierte Absicherung (evidenzbasierte Medizin) bemüht habe, stellen alle Ausführungen meine persönliche „Sicht der Welt“ dar. Unter Mythen verstehe ich „Geschichten“, die erzählt werden und nicht wahr sind. Unter Wahrheit verstehe ich eine weitgehende Übereinstimmung aller Fachleute des jeweiligen Bereichs.
Medizinmythen sind auch bei medizinischem Personal verbreitet und leider sehr langlebig. Sie entstehen manchmal schon durch eine wenig differenzierte „Überschrift“ einer Meldung (z. B. am 08.06.2017 in der Ärzte Zeitung online: „Jeden Tag ein Ei lässt Kinder gut gedeihen“, über eine Studie, bei der „insgesamt 83 Kinder im Alter von sechs bis neun Monaten in einem ländlichen Bereich des ecuadorianischen Hochlands über einen Zeitraum von sechs Monaten täglich mit einem Hühnerei versorgt“ wurden).
Als Patient oder als Elternteil eines Patienten stehen Sie dann regelmäßig vor der Frage, welcher der unterschiedlichen Aussagen können Sie vertrauen. Was ist wahr und was nicht?
Und das ist schwieriger als bei der Sache mit dem Klapperstorch. Denn dass die Babys doch nicht vom Klapperstorch gebracht werden, ist glücklicherweise inzwischen Allgemeinwissen geworden.
Wenn Ihnen Medizinmythen aus dem Bereich der Anästhesie begegnen, schreiben Sie mir dazu. Ich versuche dann gern, auf die Inhalte einzugehen und sie kritisch zu hinterfragen.
Weitere Beispiele für Mythen in der Anästhesie können Sie hier nachlesen: